Die Litterode…wie aus einer Siedlung ein Dilemma wurde

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Seit mehr als 50 Jahren lebe ich in Essen. Von der Litterode habe ich zum ersten mal gehört, als ich 2021 im Rat und im Aufsichtsrat der IME gefragt war, über den Verkauf und den Kauf der Siedlung abzustimmen.

Alle Informationen, die mir als noch sehr neue Ratsfrau zur Verfügung standen, ließen nur einen Schluss zu.

Wer genau sie errichtet hat, ist mit Google und ChatGPT praktisch nicht herauszufinden. Da in der Zeit aber viele Siedlungen nicht mehr von einzelnen Firmen bzw. Zechen als Wohnraum für nur ihre Mitarbeitenden gebaut wurden, kann es gut sein, dass die Treuhandstelle die Siedlung zwar explizit für Bergleute, aber nicht für Bergleute nur eines Bergwerkes errichtet hat.

Die Siedlung liegt etwas abseits der großen Verkehrsachsen und hat vermutlich in der Stadtgeschichte zwischen 1930 und 2024 keine sehr große Rolle gespielt. Sie wurde nie berühmt, so wie die Margarethenhöhe oder andere Siedlungen.

Irgendwann wurde die Stadt Essen Eigentümerin der gesamten Siedlung, diese wurde zumindest teilweise zur Unterbringung von Geflüchteten genutzt.

Die Stadt als Eigentümerin und Vermeiterin hat in die Häuser der Siedlung dabei nicht nenneswert investiert, die Häuser werden selbst heute noch zum Teil mit Kohle beheizt.

Die Mieter:innen, also die früheren und heutigen Bewohnenden, haben selbst in die Sanierung der Häuser investiert, Badzimmer eingebaut, rnoviert. Es wurden auch bauliche Veränderungen vorgenommen, Häuser wurden durch Wanddurchbrünche miteinander verbunden. Generationenübergreifend wurde die Gemeinschaft dort zusammen organisiert. So erscheint es und das machen die verbleibenden Bewohnenden auch so deutlich.

Die Stadt wollte die Siedlung spätestens seit den 2010er Jahren wieder loswerden und suchte einen Investor. Einmal scheint es fast so weit gewesen zu sein, dass ein Käufer gefunden war. Der sprang aber wieder ab.

Vor allem die örtliche Bezirksvertretung hat von der Stadt seither Handlung gefordert, ein Teil der Häuser steht leer und das erscheint in Zeiten von Wohnungsknappheit kein akzeptabler Zustand, vor allem, wenn die Stadt selbst Eigentümerin ist.

Die Stadt hat die Kritik nicht konstruktiv genutzt, um die Siedlung zu sanieren und zu einem Schmuckstück der Bergarbeiterwohnungsgeschichte in Essen zu machen, sondern konsequent weiterhin nicht investiert aber einen Käufer gesucht.

Als der sich einfach nicht finden ließ, wurde die städtische Wohnungsbaugesellschaft, der Allbau gefragt, ob man sich an dieser Stelle eine Projektentwicklung vorstellen könne.

Die Antwort war, ja, man könne sich da etwas vorstellen. Eine Vorplanung wurde angefertigt, die sah den Abriss der Häuser vor, die Neubebauung mit geförderten Wohnungen. damit das Ganze wirtschaftlich darstellbar ist, wurde die Umsetzung der Planung vertraglich vereinbart, ein passender Verkaufspreis ebenso und 2022 ging die Siedlung aus dem Eigentum der Stadt heraus in den Besitz des Allbaus über.

Der schreib den Mietern den in so einem Fall üblichen Brief. Man möge sich keine Sorgen machen, alles bliebe beim Alten, man möge nur bitte die Miete nun auf ein anders Konto einzahlen.

Und so geschah es. Die Mietenden machen heute geltend, dass man den Brief wörtlich genommen habe und in allem so weitergemacht habe, wie zuvor. Es wurde munter weiter investiert, neue Badezimmer zum Beispiel wurden eingebaut. Den Vermeiter fragte man dazu nicht um Erlaubnis. Folglich konnte der sich dazu auch nicht äußern.

Als den Mietenden dann die Kündigung ins Haus kam, denn der vertraglich mit dem Kauf vereinbarte Abriss der Häuser bedingt ja die Entmietung, war die Empörung groß.

Und das Dilemma war geboren.

Die Bewohnenden machen geltend, dass sie investiert haben, eine einmalige Gemeinschaft entsanden sei, der Allbau nicht ehrlich gewesen sei mit den Absichten. Schließlich habe man doch ein Schreiben bekommen, dass alles beim Alten bleibe.

Bis dahin war das eine Auseinandersetzung zwischen Mietenden und Vermieter, für die man sich Lösungen vorstellen konnte. Den Mietenden wurde zugesagt, sie in andern Wohnungen des Allbaus unterzubringen, ihnen wurden mehrere tausend Euro in Ausssicht gestellt, wenn sie freiwillig ausziehen, selbst die Umzugskosten wurden übernommen.

Manche Mietenden gingen darauf ein. Aber längst nicht alle.

Und so kam ein weiterer Faktor hinzu. Die verbleibnde Bewohnerschaft hat sich Unterstützung gesucht. Und sie hat sie gefunden.

Denn im Jahr 2024 redet die Fachwelt darüber, dass neben dem Verkehrssektor vor allem der Bausektor die Umweltziele weitestens verfehlt. Klimaneutralität? Fehlanzeige, die ist in weiter Ferne.

Eines der Buzzwords ist dabei der Begriff „Graue Energie“.

Graue Energie beim Bauen ist die gesamte Energie, die für die Herstellung, den Transport, die Lagerung, den Einbau und später den Rückbau oder die Entsorgung von Baumaterialien benötigt wird. Dazu gehört zum Beispiel die Energie für die Produktion von Beton, Stahl oder Ziegeln, der Transport dieser Materialien zur Baustelle und der Bauprozess selbst. Auch spätere Renovierungen oder Abrissarbeiten zählen dazu. Da diese Energie bereits vor der Nutzung des Gebäudes verbraucht wird, spielt sie eine wichtige Rolle für die ökologische Bewertung von Bauprojekten. Nachhaltiges Bauen zielt darauf ab, die graue Energie zu reduzieren, zum Beispiel durch Recyclingmaterialien, regionale Baustoffe und langlebige Konstruktionen.

Diese graue Energie ist in der Fachwelt schon lange ein Thema, man weiß, dass die Klimaziele ohne einen veränderten Umgang mit bestehender Bausubstanz und ohne die Verwendung von kreislauffähigen regenerativen Baustoffen in der Zukunft nicht funktionieren kann.

Die große Revolution in der Bauwelt steht aber noch bevor. Bislang werden unzählige Ideen und Verfahren, neue Baustoffe und -produkte erprobt und getestet. Weitestgehend im Rahmen von Experimenten und Piloten.

Die üblichen Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Nachhaltigkeitszertifizierungen gouttieren solche Dinge zwar. Aber die Nichtbeachtung, das Arbeiten nach „guter alter Väter Sitte“ ist nach wie vor der Normalfall und ergibt meist immer noch das beste Ergebnis bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung.

Darum spielte das Thema bei der Projektentwicklung der neuen Litterode durch den Allbau auch keine zentrale Rolle. Die neue Siedlung wird zwar als nachhaltig gelten, aber das ist die Nachhaltigkeit der letzten 20 Jahre. Der Betrieb wird klimaneutral sein, der Bau selbst ist es nicht.

Alle staatliche Förderung, alle gesetzlichen Grundlagen verlangen bis heute auch genau das.

Dennoch ist die Realität der nächsten Dekaden, nämlich die Notwendigkeit, Klimaneutralität von Bau, Sanierung der Gebäudehülle, Rückbau in der fernen Zukunft zu erreichen, nicht mehr zu ignorieren.

Wir bewegen uns also in der Immobilienwirtschaft in einer Grauzone. In einer Zeit zwischen zwei Systemen.

Die Klimaneutralität des Gebäudebetriebs ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte der letzten Jahrzehnte. Den Standard, den wir heute dabei haben und der Normalität geworden ist, muss man bewundernd würdigen. Die Bauwirtschaft hat hier Großes geleistet.

Das ist ein riesiger Betrag dazu, fossile Energien einzusparen und regenrative Energien so sparsam, wie möglich einzusetzen.

Der Übergang von dieser neuen Normalität hin zu einem weiteren Kraftakt, nämlich das Gebäude selbst klimaneutral zu machen, ist noch nicht geschaffen.

Es gibt noch zu wenige Standards, zu wenig Produkte, zu wenig Erfahrung, dass man das in ganz großem Stil anwenden könnte. Aber die Fachleute wissen Bescheid, sie wissen, was uns bevorsteht und sie stellen sich.

Dennoch muss auch der Staat seine Rolle spielen, Förderungen und gesetzliche Grundlagen müssen her dafür. Es gibt sie fast noch nicht.

In dieser Zeit des Umbruchs haben die Bewohnenden der Litterode ihre Unterstützung ausgerechnet in der Fachwelt gefunden, die sich mit viel Energie und Fachwissen dafür einsetzt, dass die Zukunft des klimaneutralen Bauens Realität wird.

Und ja, es ist vollkommen richtig, wenn man für die kleine Wohnseidlung der Litterode die Prizipien der Klimaneutralität der Gebäudehülle betrachtet, erscheint es vollkommen unsinnig, die Bestandsgebäude abzureißen. Dort ist graue Energie gebunden, die nicht als Müll enden muss. Eine Sanierung wäre deutlich material- und ressourcenschonender.

Aber…

Jetzt werden zwei Anliegen miteinander verbunden, die nichts miteinander zu tun haben.

Es wird behauptet, dass die Mietenden ja in ihren Häusern bleiben könnten, wenn diese erhalten würden.

Das ist aber keineswegs so.

Die Leute, die auch in der Zukunft in den Häusern an der Litterode wohnen möchten, bräuchten in Wirklichkeit eigentlich ein Interim, so dass sie jeder Haushalt einzeln vorübergehend ausziehen könnten, man die Häuser einzeln sanieren könnte. Dass sie in ihren Häusern wohnen bleiben könnten während der Sanierung, scheint unmöglich.

Die Frage, wer dann nach einem halben Jahr Bauzeit und Leben im Interim tatsächlich wieder in seine alte Wohnung zurückziehen kann, wer diese dann noch bezahlen kann, wird im Rahmen des öffentlichen Protestes der Mietenden gegen den Vermieter gar nicht erst gestellt.

Die Kosten dafür wären jedenfalls enorm. Zwei Umzüge müssten je Haushalt bezahlt werden, wahrscheinlich die Einlagerung von Möbeln in der Zwischenzeit. Die Interimswohnung müsste nach jedem Umzug renoviert werden.

Die Sanierung der Bestandshäuser zöge sich über sieben bis acht Jahre auf diese Weise.

Wenn natürlich alle Bewohnerinnen auszögen, sich neue Wohnungen suchten, könnten die Häuser alle zusammen saniert werden, das könnte vielleicht, sehr vielleicht ein praktikabeles Projekt sein. Ich sage bewusst, ein “praktikabeles”, denn ob das wirschaftlich wäre, kann man ohne genaue Berechungen nicht sagen.

Dieser Teil der Geschichte, des Dilemmas steht der Erhaltung der Bestandshäuser eigentlich total im Weg. Trotzdem wird von Seiten der Bewohnenden so getan, als gäbe es dieses Thema gar nicht, als ob mit der Entscheidung, die Häuser zu erhalten, die Notwendigkeit des Auszuges vom Tisch wäre.

Genau das Gegenteil ist der Fall. Damit mit einer Sanierung überhaupt ein wirtschaftlich vertretbares Ergebnis erzielt werden könnte, die Mietpreise für die Zukunft nicht in exorbitant hohe Höhen steigen müssten, wäre ein Freizug der Häuser definitiv unabdingbar.

Wir bedauern es und finden es sehr schade, dass hier in Essen die so wichtige Diskussion um das Thema „Graue Energie“ und zukunftfähiger Umgang mit Geäudebestand anhand eines so unglücklich gelagerten Falles geführt wird.

Wir Grünen sehen das Zukunftsthema „Graue Energie“ und stellen uns diesem.

Aber wir sehen nicht, dass wir für die Bewohnenden der Litterode irgendetwas tun können, dass sie in den Besandhäusern bleiben können, nicht mal dann, wenn diese stehen blieben.

Darum sehen wir auch keine Option uns durch politisches Handeln sinnvoll und hilfreich im Interesse der Bewohnenden einzubringen.

Der Erhalt der Häuser unabhängig von den Bewohnenden, wäre aufgrund der engen Verknüpfung des Verkaufs mit der Wirtschaftlichkeit des Neubauprojektes sehr aufwändig.

Der Verkauf der Stadt an den Allbau müsste rückabgewickelt werden oder die Bedingungen nachträglich geändert werden, um den Allbau in die Lage zu versetzen, das Projekt neu aufzusetzen. Der Ausgang dieser Neuausrichtung des Projektes ist schlecht vorhersehbar, es kann teurer sein, die Häuser zu sanieren, als ein Neubau, aber es ist auch nicht ausgeschlossen, dass es tatsächlich kostengünstiger würde.

In jedem Fall würde es länger dauern, bis neue Mieter:innen in der Litterode einziehen könnten, wenn das Projekt neu geplant würde.

Darum haben wir uns auch in Hinblick auf die Gebäude entschieden, dass es uns sinnvoll erscheint, beim jetzt verfolgten Plan von Abriss und Neubau zu bleiben.

Wir Grünen werden aber mit großer Begeisterung und Engagement das nächste Bauprojekt, welches das Thema „Klimaneutrales Gebäude“ im Sinne nicht nur des Gebäudebetriebs, sondern vor allem der Bausubstanz selbst auf unsere Tagesordnung bringt, intensiv zu unterstützen, damit auch in Essen dazu Erfolgsgeschichte geschreiben wird.

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